Aufbruch ins Walderleben
Rückblick auf 50 Jahre Umweltbildung im Nationalpark Bayerischer Wald
Pressemitteilung Nr. 31/2020
Will für Wildnis begeistern: Lukas Laux mit Commerzbank-Umweltpraktikanten, die nach einem Einführungsseminar selbst Bildungsangebote durchführen. (Foto: Philipp Seyfried/Nationalpark Bayerischer Wald)
Waldführer wie Wilhelm Hoff leiten nicht nur den Großteil der öffentlichen Führungen, sondern sind auch bei der Betreuung von Schulklassen im Einsatz. (Foto: Daniela Blöchinger/Nationalpark Bayerischer Wald)
Neben dem 1974 eröffnetem Jugendwaldheim betreibt der Nationalpark seit 2002 auch das Wildniscamp am Falkenstein, wo vor allem Schüler der Natur ganz nah kommen können. (Foto: Johannes Haslinger/Nationalpark Bayerischer Wald)
Schönbrunn am Lusen/Zwieslerwaldhaus. Ein alter, morscher Baumstamm steht mitten im Wald. Überall ist er von Baumpilzen und Moosen überwuchert. An vielen Stellen ist die Rinde schon komplett abgeblättert. Kurz dahinter steht ein gutes Dutzend Studenten. Sie hören nicht nur gebannt dem lauten Zwitschern der Vögel zu, sondern vor allem den Worten von Lukas Laux. Er ist seit 1989 Umweltbildungsreferent des Nationalparks. Sein Ziel: Junge Menschen für wilde Natur begeistern.
Die Szene hat sich so im April des vergangenen Jahres in der Nähe von Zwieslerwaldhaus ereignet. Laux war dort im Rahmen des Einführungsseminars für Commerzbank-Umweltpraktikanten aus ganz Deutschland als Referent unterwegs. Auch 2020 hätte das einwöchige Seminar stattfinden sollen. Wie so vieles wurde es Opfer der Corona-Pandemie.
Trotz der aktuellen Ruhe im Wald, zieht das Schutzgebiet derzeit Jubiläumsbilanz. Als erster deutscher Nationalpark überhaupt wird es heuer 50 Jahre alt. Fast genauso lang wird zwischen Fichten, Tannen und Buchen Umweltbildung betrieben. Vieles hat sich dabei verändert. Methoden und Einrichtungen haben sich weiterentwickelt. Im Laufe der Zeit sind dem Bildungsteam des Nationalparks auch einige wegweisende Weichenstellungen geglückt. Ein Rückblick.
Den Vogelstimmen lauschen, den Waldboden spüren und Insekten suchen
„Die Anfangsjahre waren stark von Arbeitseinsätzen geprägt“, erklärt Laux. Ausgehend vom 1974 eröffnetem Jugendwaldheim bei Schönbrunn am Lusen habe man mit Gruppen Wege gebaut, Bäume gepflanzt, alte Zäune abgebaut oder Wiesen freigeschnitten. Im Zuge der Etablierung des Leitgedanken ‚Natur Natur sein lassen‘ sei diese Art von Aktionen mehr und mehr hinfällig geworden. Es folgten vor allem klassische Wanderwochen. Auch mit dem Konzept Schule im Grünen, also der Verlegung des Klassenzimmers in den Wald bei sonst vergleichbaren Lehrbedingungen, wurde gearbeitet.
Anfang der 1990er Jahre begann dann der Aufbruch ins Walderleben. „Wir haben fortan versucht, sinnliche und experimentelle Ansätze zu verfolgen“, so Laux. Kern des Gedankens: Kinder und Jugendliche sollen erstmal für die Natur begeistert werden. Rückfragen kommen dann von ganz allein. „Zunächst wurden wir dafür belächelt, später hat sich diese Methode nicht nur deutschlandweit durchgesetzt.“ Den Vogelstimmen lauschen, mit bloßen Füßen über den Waldboden schreiten, in Bächen nach Wasserinsekten Ausschau halten oder einfach mal ruhig in der Natur sitzen und die Umgebung mit allen Sinnen wahrnehmen. Neudeutsch: Waldbaden. All das gehört mittlerweile zum Standard des Umweltbildungsteams.
Weiterer Erfolgsfaktor ist die Aufteilung in Kleingruppen. „Früher war es üblich, dass ein Führer mit der ganzen Klasse durch den Wald läuft“, blickt Laux zurück. „Mittlerweile versuchen wir überall dort, wo es geht, Kleingruppen zu bilden.“ Vorteil dabei: „Wir können garantieren, dass jedem Schüler genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird – und auch jeder alles selbst ausprobieren kann.“
Von 2010 bis 2019 über 110.000 Übernachtungen im Wildniscamp und im Jugendwaldheim
Generell werden die Angebote für Schulen immer offener gestaltet. „Bei Klassenfahrten mit Übernachtung in den Themenhütten des 2002 eröffneten Wildniscamps am Falkenstein geht das sogar so weit, dass wir den Kindern eine Woche Zeit im Wald schenken“, berichtet Laux. Die jungen Teilnehmer beschäftigten sich dann mit selbst gewählten Projekten und lassen ihrer Kreativität inmitten der Natur freien Lauf. „118.084 Übernachtungen wurden allein von 2010 bis 2019 im Wildniscamp und im Jugendwaldheim gezählt“, weiß Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl. Nicht nur diese Zahl belegt den Erfolg der umgesetzten Konzepte.
Doch seit jeher lag der Fokus der Umweltbildung auch auf Urlaubern und Tagesausflüglern. Deswegen beginnt der Nationalpark Anfang der 1990er Jahre sein Führungsprogramm zu erweitern. Gab es vorher nur in den Ferienzeiten frei buchbare Angebote, werden diese nun zeitlich ausgedehnt. Das geht mit einem erhöhten Bedarf an Führungspersonal einher. „An dieser Stelle kamen Einheimische ins Spiel“, erinnert sich Umweltbildungsreferent Laux. Wurden geführte Touren bisher meist von Studenten geleitet, kamen nun ehrenamtliche Waldführer hinzu. „Wir wollten, dass die Einheimischen ihren Nationalpark vorstellen.“ Bis heute hat sich dieses Konzept so gut bewährt, dass es vielerorts kopiert wurde.
Um auch Menschen der Region mit Programmen zu erreichen, entwickelt das Umweltbildungsteam regelmäßig Sonderführungsreihen. So gab es Veranstaltungen mit Künstlern, Heimatverbänden und Kirchen. Letzteres hat sich unter dem Motto „Nationalpark und Schöpfung“ sogar langfristig etabliert. Bahnbrechend zum Kontakt mit der jungen Bevölkerung war Ende der 1990er Jahre der Start des Junior-Ranger-Projekts, bei dem jedes Jahr Fünftklässler aus der Region vier Tage lang den Nationalpark entdecken können. Fast 3000 Teilnehmer zählte man dabei bisher.
Waldführer bilden sich regelmäßig fort
„Seit 2011 gibt’s darüber hinaus sogar eigens ausgezeichnete Nationalpark-Schulen, die eine ständige Kooperation mit uns pflegen“, so der Umweltbildungsreferent. Aktuell werden zehn Einrichtungen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, betreut. Hinzu kommen pädagogisch wertvolle Kindergeburtstage, die vor allem von Teilnehmern am freiwilligen ökologischen Jahr inmitten der Natur durchgeführt werden. Von 2010 bis 2019 fanden 845 dieser wilden Partys statt.
Mit der wachsenden Zahl an Umweltbildungsangeboten – 2019 nahmen über 50.000 Menschen an den Programmen teil – wachsen auch die Herausforderungen für die Waldführer, die mittlerweile den Großteil der Führungen betreuen. Deswegen ist gerade in jüngster Zeit viel Aufwand in die professionelle Weiterbildung investiert worden. „Unserem Team von etwa 120 aktiven Waldführern steht mittlerweile ein richtiger Fortbildungskatalog zur Verfügung, aus dem sie wählen und ihre eigenen Schwerpunktthemen vertiefen können“, sagt Laux.
Neuester Trend dabei ist das Philosophieren. „Gerade in der Natur gibt es oft kein richtig oder falsch“, begründet Laux diesen neuen Schwerpunkt. „Allein der Begriff ‚Wildnis‘ ist nicht wirklich klar definierbar. Beim Philosophieren darüber kommt man mit den Gästen ganz anders ins Gespräch, als bei einer klassisch vorgetragenen Führung. Es wird interaktiver und lebendiger.“
Trilaterales Grenzgebiet bietet für die Zukunft viele Möglichkeiten
Und wohin geht die Reise im nächsten Jahrzehnt? „Zunächst einmal wollen wir das erarbeitete hohe umweltpädagogische Niveau halten“, sagt Nationalparkleiter Leibl. „Zudem leben wir in einem wilden, trilateralen Grenzgebiet, das viele Chancen bereithält.“ Deswegen würde nicht nur Leibl gern auch im Umweltbildungsbereich verstärkt Angebote im Verbund mit tschechischen und österreichischen Partnern etablieren.
Einige von der Europäischen Union geförderte Interreg-Projekte sind bereits angestoßen oder sogar umgesetzt. Beispielsweise gibt es zur nahezu fertiggestellten Waldwerkstatt im Hans-Eisenmann-Haus ein Spiegelprojekt im Nationalpark Šumava. Daneben hat das Jugendwaldheim zusammen mit der Böhmerwaldschule in Oberösterreich Bildungskonzepte zum Thema Biodiversität erarbeitet. Weitere Ideen liegen in der Schublade. So bleibt auch nach Corona viel zu tun im Umweltbildungsteam des Nationalparks.
Meilensteine der Nationalpark-Umweltbildung
1974: Das Jugendwaldheim bei Schönbrunn am Lusen geht als erstes dieser Art in Bayern in Betrieb.
1978: Bei Spiegelau wird das Waldspielgelände eröffnet.
1990: Im Nationalpark wird das Commerzbank-Umweltpraktikum entwickelt. Mittlerweile sind 27 Schutzgebiete Teil des Projekts.
1990: Erstmals werden Einheimische zu ehrenamtlichen Waldführern ausgebildet.
1994: Für 1,6 Millionen Deutsche Mark wird das Jugendwaldheim erweitert.
1998: Erstmal findet in den Ferien das Junior-Ranger-Projekt statt.
2002: Als zweite große Umweltbildungseinrichtung wird das Wildniscamp am Falkenstein eröffnet.
2009: Im Jugendwaldheim entsteht ein Anbau mit Seminar- und Computerraum.
2009: Das Wildniscamp wird „ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade für nachhaltige Entwicklung“.
2011: Die Nationalpark-Bildungsarbeit wird erstmals mit dem Gütesiegel „Umweltbildung.Bayern“ ausgezeichnet.
2011: Das Kooperationsprojekt Nationalpark-Schulen startet.
2016: Die Waldführer-Ausbildung wird reformiert und findet nun als Blockseminar statt.
Bildunterschriften:
Bild 1: Will für Wildnis begeistern: Lukas Laux mit Commerzbank-Umweltpraktikanten, die nach einem Einführungsseminar selbst Bildungsangebote durchführen. (Foto: Philipp Seyfried/Nationalpark Bayerischer Wald)
Bild 2: Waldführer wie Wilhelm Hoff leiten nicht nur den Großteil der öffentlichen Führungen, sondern sind auch bei der Betreuung von Schulklassen im Einsatz. (Foto: Daniela Blöchinger/Nationalpark Bayerischer Wald)
Bild 3: Neben dem 1974 eröffnetem Jugendwaldheim betreibt der Nationalpark seit 2002 auch das Wildniscamp am Falkenstein, wo vor allem Schüler der Natur ganz nah kommen können. (Foto: Johannes Haslinger/Nationalpark Bayerischer Wald)