Zwischen Büro und Urwald

Vier Monate Praktikum im Nationalpark Bayerischer Wald - Ein Erfahrungsbericht

Eintrag Nr. 20/2019
Datum:


Besonders beeindruckt hat mich, Fabian Wirth (links), eine Fortbildung zum Thema Aas. Foto: Stephanie Scheibelberger/Nationlapark Bayerischer Wald
Besonders beeindruckt hat mich, Fabian Wirth (links), eine Fortbildung zum Thema Aas. Foto: Stephanie Scheibelberger/Nationlapark Bayerischer Wald

Grafenau. Mein Praktikum beim Nationalpark Bayerischer Wald neigt sich heute leider dem Ende zu und zwischen dem Ausstand bei Kaffee und Kuchen, herzlichen Verabschiedungen und dem Schreiben der letzten E-Mails im Büro schweifen meine Gedanken immer wieder zurück über die Erfahrungen der vergangenen vier Monate, die ich hier in und um die Nationalparkverwaltung am Grafenauer Stadtplatz verbracht habe. Zeit für ein kleines Resümee.

Mein Name ist Fabian Wirth und ich bin 27 Jahre alt. Vor dem Abschluss meines Masterstudiums hatte ich mich zu Beginn des Jahres entschieden, mich um einen Praktikumsplatz im Nationalpark meiner Heimat zu bewerben. Als gebürtiger Zwieseler bin ich sozusagen mit dem Park groß geworden. In der Nähe meines Heimatortes gibt es mitten im Wald einen beliebten Aussichtspunkt, von dem aus man auf die Koppel mit den Wildpferden am Nationalparkzentrum Falkenstein blickt. Der Nationalpark mit seinen Einrichtungen und Tieren gehört für mich so untrennbar zu meiner Heimat, wie die Glaskunst, der Zwieseler Kirchturm oder unser Dialekt. Der Woid ohne Nationalpark? Unvorstellbar. Für mich war es daher naheliegend, diese Institution einmal näher kennenzulernen. Besonders die Öffentlichkeitsarbeit reizte mich, da diese Abteilung quasi den Kontakt zu den Besuchern und Bewohnern pflegt.

Müll sammeln, Reportagen schreiben und Fotos machen

Anfang April war es dann so weit. Der Erste Tag als Praktikant in der Pressestelle des Nationalparks Bayerischer Wald: Ein Arbeitsplatz mit über 24.000 Hektar Fläche, rund 200 Arbeitskollegen und 1,3 Millionen Menschen, die jährlich zu Besuch sind. Entsprechend breit gefächert gestalten sich auch die Themenbereiche. Die ersten Wochen war ich dann erst einmal damit beschäftigt, mich in die Strukturen, Abläufe und die anstehenden Aufgaben einzuarbeiten und die Kollegen kennenzulernen. Bei diesen Dimensionen gar nicht so einfach. Der große Vorteil dabei: Die Arbeit ist unheimlich abwechslungsreich. Man verbringt seine Zeit quasi zwischen Büro und Urwald und nur selten gibt es Aufgaben, die einem nicht irgendeinen neuen Einblick in ein Thema verschaffen. Eigenständiges Arbeiten ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Bereits nach einer kurzen Einarbeitungsphase war ich regelmäßig alleine auf dem Weg zu Presseterminen, Veranstaltungen, Empfängen und Eröffnungsfeiern, schrieb Berichte, Reportagen und Blogeinträge darüber und trug somit auch die Verantwortung für einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Die Gemeinschaft und das gute Miteinander kommen bei den Kollegen trotzdem nicht zu kurz. So zogen wir einen Tag lang gemeinsam zu unserer jährlichen Müllsammelaktion im Parkgebiet aus. Meine Erfahrungen aus unserem „Rama-Dama“ könnt ihr übrigens HIER lesen.

Im Laufe der folgenden Monate habe ich auch Einblick in die wissenschaftliche Arbeit des Nationalparks bekommen. Dabei kommen oft Forschungsgebiete zum Vorschein, die man auf den ersten Blick gar nicht erwartet. Ein besonders spannendes Beispiel war dabei der „Aas-Vortrag“, den wir Mitarbeiter im Rahmen einer kleinen Fortbildung besucht haben. Es handelt sich dabei um ein ganzes Forschungsprogramm des Nationalparks, bei dem man sich der Frage nach den Auswirkungen von verwesenden Tierkadavern auf die Ökosysteme widmet. Eigentlich kann man sich kein unappetitlicheres Thema für die Zeit vor dem Mittagessen an einem Freitag vorstellen. Zu unserer Überraschung konnten wir aus dieser Veranstaltung aber erstaunlich viele Erfahrungen mitnehmen. Zwar war der Anblick eines sich im Wald zersetzenden Reh-Kadavers wirklich gewöhnungsbedürftig, doch das Zusammenspiel von Käfern, Pflanzen, Bakterien und Pilzen in einem natürlichen Kreislauf schärft den eigenen Blick dafür, wie gut sich die Natur eigentlich um sich selbst kümmern kann – wenn denn der Mensch ihr die Möglichkeit dazu gibt.

Erkenntnis: Der "Duftende Feuerschwamm" riecht nach Rosen

Spannend war auch die wissenschaftliche Vortragsreihe des Nationalparks, welche ich im Rahmen der Pressearbeit dokumentieren durfte. Eine der Veranstaltungen drehte sich um die ethische und philosophische Frage: „Was ist eigentlich eine schöne Natur?“ Dabei konnte ich auch im Laufe der vergangenen Monate lernen, dass der Schutz wertvoller Ökosysteme nicht davon abhängig gemacht werden darf, was wir individuell als „schön“ empfinden. Vom kleinsten, unscheinbaren Käfer über dezent blühende Pflanzen in entlegenen Moorgebieten bis hin zu den anmutigsten Rothirschen in den Bergwäldern des Parks: Jedes Stück Natur ist auf seine Art und Weise wertvoll und schützenswert. Noch vor einem halben Jahr hätte ich bei einer Wanderung durch das Urwaldgebiet Mittelsteighütte den Duft nach Flieder und Seife wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen. Noch weniger hätte ich diese charakteristische Duftnote mit einer Pilzart, die so selten wie nur wenige andere in Bayern ist, in Verbindung gebracht. Seit ich während meiner Arbeitszeit einmal mit einem Ranger dort unterwegs war, weiß ich, dass es eben an ein kleines Wunder grenzt, direkt vor der eigenen Haustüre das Totholz einer Jahrhunderte alten Tanne mit einem darauf wachsenden Pilz namens „Duftender Feuerschwamm“ finden zu können. Viele dieser Arten sind in der Natur mittlerweile seltener als Gold zu finden. Das Wissen um solche Pflanzen, Pilze, Flechten oder Insekten und deren Rolle im Ökosystem zeigt einem, wie wichtig der Schutz unserer Wälder ist. Die letzten Monate durfte ich hier im Nationalpark viele solcher Erfahrungen und Eindrücke sammeln. Einige davon werden mir dabei ganz besonders gut in Erinnerung bleiben.

Ich schmunzle zufrieden, stehe auf und gehe zum Fenster. Die Sonnenstrahlen suchen sich gerade ihren Weg durch den bewölkten Himmel über Grafenau. Von meinem Büro hier im obersten Stock der Verwaltung aus habe ich einen idealen Blick auf das Storchennest am Giebel des Gebäudes. Während des Praktikums habe ich fast jeden Tag einen kurzen Blick auf die gefiederte Familie dort oben geworfen. Dabei hatte ich das Glück, die Entwicklung der beiden kleinen Störche live miterleben zu können. Etwa zwei Wochen nach meinem ersten Arbeitstag kam das Storchenpaar nach ihrer langen Anreise auf dem Dach der Nationalparkverwaltung in Grafenau an. Erst das Männchen, dann das Weibchen. Gespannt richteten sich die Blicke auf das große, runde Nest hoch über dem Stadtplatz und mit jedem Tag stieg die Spannung in der Verwaltung: Wann wird es endlich so weit sein? Wie viele Jungstörche werden dieses Jahr schlüpfen? Werden sie gesund sein? Auch zu Hause fieberten zahlreiche Menschen täglich vor der Storchen-Webcam am Bildschirm mit dem brütenden Storchenpaar mit. Und dann war es endlich so weit: Es wurde unruhig im Nest hoch oben, über unseren Büros. Die Spannung stieg. Bei einem genauen, prüfenden Blick auf die Bilder unserer Webcam folgte dann die freudige Gewissheit: Zwei kleine Jungstörche hatten soeben das Licht der Welt erblickt – nur wenige Meter von meinem Schreibtisch entfernt. Die beiden gefiederten Brüder wurden mit jedem Tag immer größer und kräftiger und es war faszinierend für mich, wie schnell diese Tiere eigentlich wachsen. Ein besonderes Highlight war dann der Moment, an dem die zwei Jungstörche beringt wurden: Mit Hilfe der Feuerwehrleiter und einer Expertin vom Landesbund für Vogelschutz wurden den beiden kleinen Störche an einem heißen Sonntagnachmittag die Erkennungsringe angelegt. Ich durfte die ganze Aktion dabei mit Fotos dokumentieren und hatte an diesem Tag einen einzigartigen Blick vom Glockenturm der Verwaltung aus. Es sind Momente wie diese, die mir das Praktikum immer wieder versüßt haben. Die kleinen Dinge im Leben.

Ich packe meine letzten Stifte am Schreibtisch ein, schalte den Computer aus und räume den Arbeitsplatz für die Kollegen, die nach mir kommen werden. Etwas wehmütig, aber zufrieden nehme ich meinen Rucksack auf die Schultern und mache mich auf den Heimweg. Noch ein kurzer Blick aus dem Bürofenster. Es sieht so aus, als würden die beiden jungen Störche auch bald ihr Nest verlassen.

 

Text: Fabian Wirth

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